Leseprobe
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RuschSZ1_

Leseprobe “Späte Rechnung”; Sieben-Verlag; Oktober 2008

Hinter ihm quietschte die Tür. In mühevoller Kleinarbeit hatte Peter Asmussen den Klang kultiviert, ihn vom Jammern einer Kellertür in das Singen eines Synthesizers verwandelt. Von Besuchern unbemerkt warnte ihn das Geräusch vor überraschenden Eindringlingen, wenn er in seine Arbeit versunken am PC saß. Jetzt stand Peter am Fenster, blickte in den trüben Novembertag hinaus und hing seinen Gedanken nach. Die Betonklötze der Universität, einen halben Kilometer entfernt, hatte der Regen in ein noch trostloseres Grau verwandelt, als an trockenen Tagen.
„Ist der Herr auch schon da?“

„Warum?“, fragte Peter ohne sich umzudrehen. Die liebliche Stimme seiner Kollegin Josefa, Softwareentwicklerin wie er, würde er sogar im Schlaf erkennen. „Hat mich jemand vermisst?“

„Warst wieder auf deiner Nussschale? Mit einer Mieze?“ Die Worte schlichen von hinten heran. Und dann roch er ihr Parfüm, das die Frische einer Frühlingswiese verströmte. „Hoffentlich konntest du der Dame mehr bieten als mir damals“, flüsterte sie ihm ins Ohr und schnalzte mit der Zunge.

Peter presste die Lippen zusammen und verschränkte die Arme vor der Brust. Eine falsche Reaktion würde ihrem Spott weitere Nahrung liefern. Nur eine gebührende Antwort ließe Josefas Anzüglichkeiten versiegen. Da blieb sein Blick auf dem schwarzen Alpha-Romeo-Coupé hängen, das unten einen der Mitarbeiterparkplätze belegte.

„Der eine begnügt sich mit einer Nussschale, während andere teure Schlitten kutschieren.“

„Komm, hör auf. Du redest nicht etwa von meinem Gebrauchten?“

„Ja, ich rede von deinem Flitzer da unten.“

„Der noch einige Jahre halten muss.“

„Wenn ich Zeit habe, werde ich für dich sammeln gehen.“ Er drehte sich zu ihr um. „Was willst du?“

Josefas schmale dezent geschminkte Lippen verformten sich zu einem Lächeln, das nur Frauen beherrschen mochten, die ihre Wirkung auf Männer vor dem Spiegel trainierten. Ihr blasses Gesicht wirkte madonnenhaft. Sie lehnte sich an die Fensterbank, schüttelte die dunklen schulterlangen Haare und ließ den Blick durch das Büro streifen. „Arbeitest du überhaupt?“

„Warum?“

„Dein ständiges Aufräumen kostet bestimmt viel Zeit und die fehlt halt für die wichtigen Dinge.“

„Das ist doch Quatsch.“

„Ach ja? Und warum bist du die BreFa losgeworden? Warum kümmert sich Michael jetzt selbst um den wichtigsten Kunden? Hast du Mist gebaut?“

„Ich soll Grundsatzuntersuchungen durchführen.“

Sie sah ihn an. Ihr Lächeln wandelte sich zu einem breiten Grinsen. „Der Boss beruft den kleinen Peter zu Höherem. Worum geht’s denn?“

„Um eine neue Software.“

„Sicherlich darfst du nicht darüber sprechen?“

„Nein.“

„Du Lügenmaul, du.“ Sie nagelte ihn mit ihren braunen Augen fest. „Michael bootet dich aus, stellt dich kalt, damit du ihm nicht in die Quere kommst.“

Josefas Worte trafen ihn wie Eisnadeln, denn sie sprach die Wahrheit aus, die Wahrheit, die er seit geraumer Zeit verdrängte. Als einziger Softwareingenieur unter den 12 Mitarbeitern der IsTec, der International Software Technology GmbH, hatte Peter den Hauptkunden BreFa seit einigen Jahren direkt betreut. Stets zu aller Zufriedenheit. Dann plötzlich, vor vier Wochen, hatte Michael die Betreuung der BreFa selbst übernommen und ihn seitdem mit sinnlosem Zeugs beschäftigt.

„Was geht es dich an?“, fragte Peter.

„Viel! Sehr viel sogar! Michael entsorgt nämlich gerade unsere Arbeitsplätze.“

„Glaub’ ich nicht!“

„Glaub’s ruhig und hör auf zu träumen. Das Softwaregeschäft ist ein Raubtierkäfig – friss oder du wirst gefressen. Und der gute Michael lässt seine Firma fressen, um selbst zu überleben.“

„Von der BreFa?“

„Von der BreFa!“

„Das glaube ich nicht. Michael hat immer offen über seine Zukunftspläne gesprochen.“

„Ja, wenn der Herr Theuner Aufträge einheimste und uns die Überstunden schmackhaft machen wollte. Aber wenn dunkle Wolken auftauchen, dann stellt er uns vor vollendete Tatsachen.“

„Wir bekommen auch schönes Geld. Da müssen die paar zusätzlichen Stunden einfach drin sein.“

„Du bist so ein Arschkriecher!“ Josefa stieß Peter vor die Brust; ihre Augen funkelten. „Du hockst hinter deinem Monitor, verschließt die Augen vor der Wirklichkeit und redest dem Chef nach dem Mund.“ Abrupt drehte sie sich um und wandte ihm den Rücken zu. Die heftige Reaktion der Kollegin überraschte Peter. Josefa kämpfte eher mit den Waffen einer Frau, im Verborgenen, Mitgefühl erheischend. Aber jetzt? Wenn ihre Anschuldigungen tatsächlich stimmen? Nein, Peter verwarf den Gedanken. Seit Peter Michael vor drei Jahren kennen gelernt hatte, erlebte er ihn eher als Kollegen, fast als Kumpel, denn als Chef. „Entschuldige bitte“, sagte er und legte Josefa die rechte Hand auf die Schulter. „Ich verstehe dich ja“, log er, um sie zu besänftigen.

Josefa drehte sich um. Auf ihren Wangen lag ein rosa Schatten. „Ich lasse mir das nicht bieten.“ Erwartungsvoll sah sie Peter an. „Komm wir wehren uns.“

„Josefa! Bestimmt hast du etwas falsch verstanden. Michael würde nie hinter unserem Rücken die Firma verkaufen und uns auf die Straße setzen.“

Augenblicklich erstarrten ihre Gesichtszüge. Die braunen Augen verschwanden hinter schmalen Schießscharten. „Du bist so ein Waschlappen. Bekommst im Bett deinen Pimmel nicht hoch und willst mir hier die ach so heile Welt erklären.“ Plötzlich, ohne erkennbaren Grund, lächelte sie. „Du wolltest doch deine Schrottimmobilie losschlagen? Da wirst du viel Geld verlieren und dein Gehalt gebrauchen können.“

Josefa landete den nächsten Volltreffer. Vor zwei Jahren hatte sich Peter eine todsichere Altersversorgung andrehen lassen: ‚Moderne Eigentumswohnung – direkt an der Elbe – im Herzen Dresdens – finanziert sich praktisch allein’, hatte die Werbung versprochen. Aber schon nach kurzer Zeit waren die Verheißungen geplatzt.

„Das stimmt“, antwortete er. „Aber wir brauchen wirklich keine Angst um unsere Jobs zu haben. Die Auftragsbücher bersten aus allen Nähten und wir wissen nicht, was zuerst zu machen ist. Josefa, du rennst einem Gespenst hinterher.“